Nach 9 Monaten habe ich endlich verstanden, dass ich eine Krankheit habe. Was war in dieser Zeit alles geschehen?
Im Oktober 2020, voll drin in Corona, ging ich mit der Hoffnung meine lähmenden Kopfschmerzen loszuwerden zum Osteophaten und kam innerlich völlig zusammengebrochen wieder nach Hause. Zugegeben, das war nicht der Plan gewesen, aber wie ich heute weiß: es war notwendig.
Wahrscheinlich hatte ich mich bereits ca. zwei Jahre lang im Funktionsmodus gehalten und meine jahrzehntegewachsenen Strategien zur Selbstverarschung hielten mich aufrecht. Mein Leben war endlich gut! Liebevoller Mann, motiviertes Kind, erfüllender Job, grüne Zahlen auf dem Konto. Kein Grund zum Anhalten. Und schon gar nicht zum Krank werden.
Vier Monate lang ließ ich den Arzt reden und dachte immer wieder: ich habe keine Depression. Wahrscheinlich nur eine Erschöpfung, etwas Pause und das wird wieder. Aber der Akku blieb leer. Ich machte jeden Tag Yoga, ging Walken, pumpte mich mit positiven Energien aus Meditation auf und betete alle heilungsbringenden Glaubenssätze rauf und runter. Aber ich blieb leer und wurde schmerzhaft rastlos, immer frustrierter und hilfloser.
Dann entschied ich mich zur Einweisung in die Klinik und hörte das erste Mal von einer „unruhigen Depression“, die sich u.a. mit gesteigertem Aktionismus bemerkbar macht. Ich dachte entmutigt, ich habe mit meiner Selbstherapie alles viel schlimmer gemacht. Es war niederschmetternd und der Klinikaufenthalt brachte auch nicht die nötige Distanz. Aber dafür Tabletten, die mich zur Ruhe kommen lassen.
Erst die Therapie in der Tagesklinik bringt mich jetzt nach 9 Monaten in den Zustand von skeptischer Akzeptanz. Wäre die Depression ein Kind, dann hätte ich sie jetzt geboren.
Ich merke, dass etwas bei mir angekommen ist, weil meine aburteilenden Gedanken leiser werden. „Was stimmt nicht mit Dir? Hör auf zu jammern und mach weiter!“ -dieser Satz weicht nun einem sanfteren: „Es ist jetzt so, du bist eben krank, da reicht auch mal nur der Versuch. Sorge für Dich, was brauchst du jetzt?“
Mit dieser Akzeptanz kommen Tränen. Eine für jede Verletzung, jeden Kummer, jede Selbstverleugnung. Trauer über das, was ich mir aus der Krankheit heraus angetan habe aber auch unreife Wut über ein Leben, das so ganz anders hätte sein können.
Wie geht es weiter? Eine Rückkehr zu einem Leben ohne die Erkrankung wird es voraussichtlich nicht geben. Also muss ich jetzt lernen, diesen Teil von mir zu umsorgen und mir selbst eine gute Mutter zu sein. Die kleinen guten Momente wie Honigtropfen von den Blüten einsammeln. Das ist dann wohl Depression.